Vermuteten 2020 die Autoren, Böning und Strikker (2020), den Zustand des Coachings in etwas dramatisierender Form potenziell im Stadium einer „zweiten Romantik“ bzw. sehen das Coaching am Scheideweg zwischen „Abstiegt oder Aufstieg“, soll dieser Beitrag mit der Basis-Definition des Wettbewerbes bzw. der Wettbewerbsfaktoren des Online-Wirtschaftslexikon von Gabler etwas nüchterner daherkommen. Der Beitrag soll eine Antwort darauf geben, warum dem (Business-)Coaching künftig womöglich (noch) härtere Zeiten bevorstehen und es deshalb zu einer Neu- oder Um-Definition der (Manager- bzw. Menschenretter-) „Romantik im Coaching“ kommen könnte [vgl. auch Stenzel (2022), S. 263-283].
So definiert das erwähnte Lexikon Wettbewerbsfaktoren als „strukturelle Merkmale einer Branche, welche die Stärke der Wettbewerbsintensität und damit nachgelagert auch die Rentabilität der Unternehmungen und der Branche generell bestimmen“ (Quelle: Gabler Online Wirtschaftslexikon) Als entscheidende Merkmale nennt es dabei die Anbieter (Coaches), Abnehmer (Coachees), Lieferanten (heute: Plattformen), aufkommende Substitu-tions-produkte sowie den Grad der Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern.
Mit diesen fünf Kriterien als Ausgangspunkt, sollen nachfolgend sechs Thesen zur zukünftigen Wettbewerbssituation bei Coaching-Services formuliert werden, welche sich in ihren Auswirkungen zudem potenziell gegenseitig dynamisieren können.
Größere Konkurrenz durch immer mehr Individualanbieter bei den Soloselbstständigen bzw. zu viele Coaching-Ausbilder
Mit dem Ausstieg der Babyboomer aus dem Berufsleben in den nächsten 10-15 Jahren und deren potenzielle Ambitionen als jung gebliebene Rentner weiterhin zu arbeiten, könnte es in den Folgejahren zu einem Zuwachs der Coach-Community kommen; denn deren Blick auf den Rentenbescheid (nach der Rentenreform) „motiviert“ wahrscheinlich viele – trotz einer geglückten Erwerbsbiografie – sich „irgendwie“ noch etwas dazu zu verdienen. Und was liegt da näher, als – entsprechend dem anfänglichen Verständnis von Coaching – die gesammelten Berufs- und Branchenerfahrungen weiterzugeben bzw. nun mal „etwas mit Menschen zu machen“. Da Alten- oder Krankenpflege nicht sehr attraktiv erscheint, findet sich wahrscheinlich auch schnell ein passendes Coaching-Programm, welches durch die starke Konkurrenz der vielen Anbieter dazu auch noch relativ günstig ist und auch etwas Renommee verspricht. Die Anbieter bzw. Coaches fanden darin infolge ihrer zu schwachen Auslastung beim Coaching selbst eine Möglichkeit, sich ein zweites Standbein zu schaffen.
Zu viele, neue Individualanbieter mit zu wenigen Unterscheidungsmerkmalen
Die so steigende Anzahl der Mitwettbewerber bei den Coaches macht es jedoch immer schwieriger, ein Alleinstellungsmerkmal aufzubauen und sich dadurch in einer Nische geschützte und höhere Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Ist die Zielgruppe des Nischenproduktes folgerichtig eher klein und im schlimmsten Fall weniger finanzstark, wird der Service nur selten verkauft werden können. Dies führt potenziell (!) wiederum zu einer Erosion der (frisch) erworbenen konzeptionellen, methodischen und haltungsbezogenen Qualifikation zum Thema „Coaching“. Wie sich dies wiederum für die Kundenzufriedenheit und das Renommee des „Service Coaching“ auswirken könnte, ist nicht vorauszusehen.
Immer stärkere Pool- bzw. Plattformanbieter
Doch sprechen wir nicht von den Soloselbstständigen als Anbieter, sondern von Pool- oder Plattformanbietern im Coaching. Das stetige Wachstum der bereits etablierten Anbieter sowie die Bereitschaft von Investoren ihr Geld in diesem Bereich anzulegen, sind hier sicher gute Indikatoren, dass bei diese Anbietergruppe goldene Zeiten erwartet wurden. Ob sich deren erhofften, massiven Gewinnerwartungen angesichts der in den Folgejahren von 2022 erwartenden Rezension auch wirklich erfüllen werden, ist allerdings nun sehr viel unsicherer geworden. Kommen dazu (wie z.B. bei dem Anbieter CoachHub) latent aggressive, und vermeintlich monopolistische Bestrebungen, brechen für Coaches wie Einkäufer potenziell schwierige Zeiten an. Offenbaren sich die Nachteile (für zu viele) Coaches (auf einem Einkäufermarkt) durch eine potenzielle Hoheit weniger Plattformen hinsichtlich der Servicedefinition und des Preises sehr schnell, stellt sich dieser Nachteil für Großkunden in Unternehmen erst nach der Realisierung einer quasi-monopol- oder oligopolistischen Situation eines bzw. einiger weniger Plattformanbieter ein. Die (Buch-)Händler und Verleger auf der Amazon-Plattform lassen grüßen!
Immer weniger zahlungskräftige Kunden - nicht nur im Business
Wechseln wir in der Perspektive von den Anbietern zu den Abnehmern, d.h. Kunden bzw. Coachees. Im Fall der (privaten) Einzelkunden hat die Generation der Babyboomer wie bereits erwähnt einen nachhaltigen Einfluss auf die Anzahl der Erwerbstätigen (= potenziellen Coachees in Unternehmen). So werden laut des Statistischen Bundesamtes (Destatis) in den nächsten 15 Jahren die zahlenmäßig stärksten Jahrgänge (geboren zwischen 1957 und 1969) in den Ruhestand gehen. D.h. laut dem Mikrozensus 2021 werden bis 2036 12,9 Millionen Erwerbspersonen das Renteneintrittsalter überschritten haben. Das sind (bezogen auf das Berichtsjahr 2021) rund 30 % der aktuell auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen!
Infolge der wahrscheinlich durch den Einsatz von IT steigenden Produktivität in den Unternehmen, werden diese nicht erneut oder mit jüngeren Personen besetzt – wenn man denn infolge des heute schon herrschenden Fachkräftemangels überhaupt geeignete Bewerber findet! Kosteneinsparungen (meist zuerst in den nicht-produzierenden Abteilungen wie z.B. HR!) durch die Auswirkungen von COVID, des Ukraine-Kriegs und dessen Folgen, wie Energieknappheit, Lieferengpässe bei Rohstoffen, sowie gestörte Logistikketten führen in den Unternehmen wahrscheinlich insgesamt eher zur Reduzierung aller externen Ausgaben. Falls in den Jahren zuvor Peer-Learning-Formate oder sogar ein interner Coach-Pool aufgebaut wurde, wird wahrscheinlich zunächst auf dessen Nutzung verwiesen bis – zu guter Letzt und in Ausnahmefällen – auch externe Coaches herangezogen werden.
Auch im Privatsektor verheißen die kommenden Jahre eher schwierige Zeiten. Ist die aktuelle Inflation zwischen 8-9% und der damit einhergehende Kaufkraftverlust hoffentlich ein nur vorrübergehendes Phänomen der nächsten 2-5 Jahre, wird die steigende Steuerlast bei den zukünftigen Erwerbstätigen die Nettoeinkommen unabwendbar und massiv drücken. Denn kamen 1962 noch 6 Beitragszahler auf einen Rentner, werden es 2030 laut Prognosen des Bundesinstituts für Bevölkerungs-forschung 1,5 Beitragszahler auf einen Rentenbezieher sein (siehe Statista-Grafik). Wahrscheinlich nur der Anteil der „Besserverdienenden“ werden daher das Geld aufbringen können und wollen, nachhaltig in ihre persönliche Entwicklung zu investieren. Bleibt abzuwarten, inwieweit der „Coaching-Boom“ der letzten Jahrzehnte sich auch in den wirtschaftlich schwierigeren Zeiten der kommenden Jahre anhalten oder eher eine Konsolidierung des Coaching-Business zur Folge haben wird.
Die Verhandlungsstärke der Abnehmer in Unternehmen auf einem Einkäufermarkt
Geschäftlich am interessantesten sind für alle Pool- und Plattformanbieter wohl finanzstarke Wirtschaftsunternehmen, die Wert auf die Entwicklung ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte legen. Durch die in den letzten 4-8 Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossene Vielzahl an Plattformunternehmen, bewegen sich die entsprechenden Einkäufer von Coaching-Services in einem von starker Konkurrenz gekennzeichneten Einkäufermarkt. Jede Plattform möchte die größten, finanzstärksten und namhaftesten Firmen in ihren Referenzlisten führen, möchte dafür die besten Coaches in ihren Pools wissen. Diesen ist nur allzu verständlich, wenn man versteht, dass das Plattform-Geschäftsmodell (neben ihren Mitarbeitern) keine echten, eigenen Assets besitzt. Ihre Stärke ist damit auch ihre Schwäche, denn eine Plattform für die Coaches nicht bereit sind zu arbeiten, ist nur ein „Stück“ Anwendungssoftware. Sie sind wie der Pächter eines Marktplatzes, auf den kein Händler seinen Stand stellen und seine Ware verkaufen möchte. Umgekehrt verhält es sich, wenn er zum alleinigen Marktplatz „weit und breit“ wird. Dies ist für alle anderen Beteiligten zumindest mittelfristig von Nachteil. Diesen monopol- oder oligopolistischen Bestrebungen einiger Plattformanbieter gilt es daher als Einkäufer eines Unternehmens durch Ausschluss, die Einbeziehung von „Marktneulingen“, regelmäßigen Anbieterwechsel, oder sogar Diversifizierung der Bezugsquellen innerhalb eines Unternehmens entgegenzuarbeiten. Nur so können die Kräfte des Marktes auch langfristig frei fließen – alle Wettbewerbsfaktoren ihre Wirkung entfalten. Die Einkaufsmacht sollte stärker auch zur Marktbearbeitung genutzt werden.
Immer mehr Substitutionsprodukte in Form von immer intelligenteren Chat- bzw. Coachbots
Ist der „Robocoach“ aktuell wohl noch eher etwas für die Liebhaber von SciFi-Fiktionen wie z.B. in der schwedischen TV-Serie „Real Humans“, werden wir dennoch zukünftig bei vielen Unternehmen im Bereich der Kundenbetreuung immer häufiger den Einsatz von immer leistungsfähigeren Chatbots erleben. Der Schritt dann vom „zuhörenden“ und „verstehenden“ und sogar mit einer responsiven Mimik agierenden „Digital People“ ist eine Frage von 5-10 Jahren. Seit Jahren trainieren Millionen von Nutzern von Sprachassistenten, wie Alexa oder Siri, diese in der Komplexität menschlicher Kommunikation. Die aktuellen Marktführer der sogenannten „Conversational AI“, amelia.ai, kore.ai oder Soul Maschines.com und insbesonders das aktuell gehypte ChatGPT System von OpenAI zeigen schon heute recht beeindruckend, in welche Richtung die Reise gehen könnte. Ihre digitalen „Berater“ sind aktuell noch weit davon entfernt, wie ein Coach aus Fleisch und Blut agieren zu können. Aber die Leistungsfähigkeit der Halbleiter in den Rechnern und Grafikmodulen bzw. die entsprechenden Algorithmen haben sich gerade erst einmal aus den Startlöchern begeben. Die Zeitspanne bis Laien (im sogenannten Turing-Test) erkennen, dass sie mit einer künstlichen Intelligenz sprechen, wird mit jedem Jahr länger werden. So ist es sehr wahrscheinlich, dass in nicht allzu ferner Zukunft diese sehr leistungsfähigen Systeme nur basisqualifizierte Coaches ersetzen und die Arbeit von Profis gezielt ergänzen werden – wenn dies die Kunden der Generationen Z und Alpha denn akzeptieren. Aber warum auch nicht? Das ist die Lebenswelt, in der sie aufwachsen werden!
Wo bleibt das Positive?
So ist zu vermuten, dass das Business-Coaching wahrscheinlich nun selbst zeigen muss, ob es die Logiken und Modelle des unternehmerischen Denkens – sein „Business“ – verstanden hat und es sich auch in wirtschaftlichen härteren Zeiten als Coaching-Business behaupten kann. Voraussetzung aus meiner Sicht ist dazu wiederum das echte Interesse am Menschen – jedoch nicht nur wie bisher als Individuum bzw. der innigen Zweisamkeit von Coach und Coachee, sondern in den vielfältigen Bezügen zu seiner Umwelt, d.h. der Gesellschaft, Technik, Politik, Wirtschaft etc. Mein Buch, welches der Anlass für diese Homepage war, sollte dazu ein erster Aufschlag sein.
Obwohl ich mich bemüht habe, den vorliegenden Text an Fakten und wirtschaftlich bewährten Denkmodellen auszurichten, könnte man das Resultat als zu negativ gefärbt sehen. Manche Leser werden daher nicht zu Unrecht fragen: Stefan, wo bleibt das Positive? Und ich werde ganz im Geiste von Erich Kästner (2005) antworten: Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt! Ich bin offen für jede andere Deutungen der Theorien, Zahlen, Daten und Fakten und zusätzliche Informationen. Denn ganz i.S. der Kontingenz, kann man das alles sicher auch ganz anders sehen – ich weiß! Ich bin sehr gespannt auf Ihre/Eure Kommentare!
Quellen
- Böning, U. & Strikker, F. (2020). Coachings in der zweiten Romantik: Abstiegt oder Aufstieg. Zwischen individuellem Glücksversprechen und gesellschaftlicher Verantwortung. Springer, Heidelberg
- Kästner, E. (2005). Ein Mann gibt Auskunft. Atrium Vlg.